Schärfere Kontrollen bei Medizinprodukten – Hat man aus dem Skandal um billige Brustimplantate gelernt?

Der Skandal um die mangelhaften Brustimplantate der mittlerweile insolventen französischen Firma PIP mit Tausenden geschädigter Frauen, nicht nur in Frankreich,  dürfte den meisten noch gut im Gedächtnis sein. Daraus gelernt wurde aber scheinbar wenig: Medizinprodukte wie etwa Brustimplantate oder künstliche Kniegelenke sollen nämlich nach einem Beschluss des EU-Parlaments aus Oktober 2013 auch zukünftig nicht zentral zugelassen werden – immerhin werden aber schärfere Regeln erlassen.

Die bisherige Regelung sieht vor, dass Medizinprodukte vor der Einführung auf den Markt die CE-Kennzeichnung erhalten müssen. Dazu muss das entsprechende Produkt die in den Europäischen Richtlinien vorgegebenen Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllen. Im Rahmen dieses sog. Konformitätsverfahrens muss der Hersteller bei allen Produkten mit Ausnahme von solchen der niedrigsten Risikoklasse (wozu beispielsweise Pflaster, Gehhilfen und Kühlakkus zählen) eine privatrechtlich tätige unabhängige Prüf- und Zertifizierungsstelle  hinzuziehen. Als Beispiele für diese sog. Benannten Prüfstellen können TÜV, Dekra und Medcert aufgeführt werden.

Eine große Hürde dürfte die Hinzuziehung einer solchen Benannten Prüfstelle allerdings nicht darstellen: Da es dem Hersteller selbst überlassen bleibt, welche Benannte Prüfstelle er zu dem Konformitätsverfahren hinzuzieht, besteht zwischen den einzelnen Prüfstellen ein Konkurrenzverhältnis. Das dürfte zur Folge haben, dass das Institut mit den strengsten Prüfungskriterien sicherlich die wenigstens Aufträge erhält.

Die politische Intention bezüglich des dezentralen Marktzugangssystems war damals „mehr Innovation, weniger Staat und mehr Eigenverantwortung der Hersteller“ (FAZ vom 27.10.13). Im Ergebnis wird durch das dezentrale System ein im Vergleich zu Arzneimitteln recht zügiger Marktzugang gewährleistet und die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere kleinerer und mittlerer Unternehmen gestärkt.

Die Risiken des Systems liegen allerdings auf der Hand und haben sich im Fall der billigen Brustimplantate der Firma PIP dann auch verwirklicht. Dennoch soll es gemäß dem Beschluss des EU-Parlaments im Großen und Ganzen bei der beschriebenen Regelung bleiben: eine zentrale Zulassung wie sie etwa bei Arzneimitteln erforderlich ist, soll es nicht geben.

Da haben die Lobbyisten wohl wieder einmal große Arbeit geleistet. Entsprechend ist in der Presse („Der Spiegel“, Ausgabe 42/2013, S. 157) eine beredte Äußerung der sozialdemokratischen EU-Parlaments-Vizepräsidentin Dagmar Roth-Behrendt zu lesen: „Ich bin seit über 20 Jahren in Brüssel, aber einen solchen Lobbydruck habe ich noch nie erlebt.“

Gänzlich ohne Konsequenzen für die Medizinprodukteindustrie blieb der PIP-Skandal allerdings auch nicht; immerhin sollen die Medizinprodukte nun auch nach der Markteinführung kontrolliert werden, zum Beispiel durch unangekündigte Kontrollen in den jeweiligen Firmen. Ebenso müssen die Benannten Stellen in Zukunft mit stärkeren Kontrollen rechnen, und zwar durch die europäische Arzneimittel-Agentur. Besteht sodann bei Hochrisikoprodukten (also zum Beispiel bei Brustimplantaten, Herzkathetern oder Hüftprothesen) der Verdacht, dass die Benannte Stelle nicht sorgfältig gearbeitet hat, kann ein Expertenkomitee den Fall übernehmen und nochmals beurteilen.

Diese geringfügigen Änderungen sind zu begrüßen, aber fraglich bleibt, ob die Neuerungen ausreichend sind, um maßgeblich zur Patientensicherheit beizutragen. Denn eines ist klar: Die Sicherheit des Patienten muss in jedem Fall im Vordergrund stehen. Neben verstärkten Kontrollen wären unter anderem Langzeitstudien zu Medizinprodukten notwendig. Diese sind deshalb so wichtig, weil sich einige Mängel und Risiken zum Beispiel bei Implantaten häufig erst viele Jahre nach deren Einsatz zeigen.

Empfehlenswert wäre dementsprechend zumindest für Hochrisikoprodukte die Einführung eines zentralen Zulassungssystems in Europa und damit einhergehend die Aufstellung von Kriterien für sinnvolle klinische Studien zu Nutzen, Wirksamkeit und Risiken der Medizinprodukte.

Die Lobbyisten wehren sich dagegen und bringen vor, dies sei mit unnötiger Bürokratie verbunden und Patienten würden in der Folge viel zu lange auf notwendige Medizinprodukte warten müssen. Doch ist das entscheidend, wenn bei Beibehaltung des bisherigen dezentralen Systems die größere Wahrscheinlichkeit besteht,  dass manche Medizinprodukte unsicher, ineffektiv oder gar gefährlich sind und sie damit letztlich mehr Schaden stiften als Nutzen?

 

 

 

Quellen:

- Artikel „Medizinprodukte“ in der FAZ vom 27.10.2013

- http://www.euractiv.de/verbraucherschutz/artikel/eu-parlament-beschliesst-schaerfere-regeln-fuer-medizinprodukte-008150

- http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/M/Medizinprodukte/Poster_Medizinprodukte_111124.pdf

- http://www.bundesgesundheitsministerium.de/gesundheitssystem/medizinprodukte.html

- http://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/dateien/Downloads/M/Medizinprodukte/Medizin_Produkte_Marktzugangsvoraussetzungen_fuer_Medizinprodukte.pdf

- http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=116119678&aref=imageArchive/2013/10/12/CO-SP-2013-042-0157-0157.PDF&thumb=false

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