Recht auf ärztliche Zweitmeinung
Rät ein Arzt oder eine Ärztin dem Patienten zu einer Operation, so wird dieser sich regelmäßig fragen, ob die Operation ihm auch wirklich nützt oder ob sie lediglich dazu dient, den Geldbeutel des Arztes zu füllen. Und tatsächlich liegt der Verdacht aufgrund der hohen Operationszahlen in Deutschland nicht fern, dass zu viele Operationen durchgeführt werden, die aus medizinischer Sicht nicht nötig sind (siehe auch: http://www.aerzte-aerger.de/kniegelenke-wie-haufig-wird-denn-in-ihrer-region-operiert/). In bestimmten Fällen – auch zur Risikoabschätzung – ist es daher sicherlich sinnvoll, vor einem Eingriff eine ärztliche Zweitmeinung einzuholen. Dies hat auch die Große Koalition erkannt und daher in ihrem Koalitionsvertrag auf S. 79 festgehalten:
„Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass nur Operationen durchgeführt werden, die auch tatsächlich medizinisch notwendig sind. Daher haben Patienten zukünftig regelhaft die Möglichkeit, eine Zweitmeinung bei einem weiteren Facharzt oder Krankenhaus einzuholen. Dies betrifft vom GBA zu definierende mengenanfällige planbare Behandlungen. Die Ärzte müssen bei Indikationsstellung die Patienten über deren Recht zur Einholung einer Zweitmeinung verbindlich aufklären. Diese Aufklärung muss mindestens zehn Tage vor der Operation erfolgen. Die Kosten übernehmen die Krankenkassen.“
Beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) begrüßt dieses Vorhaben der Koalition. Die Regelung stärke das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, besonders, wenn auf Patientenseite Unsicherheit über die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs bestehe.
Es ist zu erwarten, dass das Vorhaben auf breite Zustimmung stoßen wird. Immerhin gab es schon in der Vergangenheit entsprechende Bestrebungen. Dazu zählt zum Beispiel das 2013 in den Asklepios Kliniken Nord und Harburg in Hamburg eingeführte Verfahren, wonach Patienten der Allgemeinchirurgie künftig bei allen Schilddrüsenerkrankungen eine Zweitmeinung aus der jeweils anderen Klinik erhalten sollen, denn gerade bei der Schilddrüse gebe es laut der Leitung der Allgemeinchirurgie der Asklepios-Klinik Harburg oft Befunde, bei denen ein unterschiedliches Vorgehen möglich wäre.
Außerdem werden qualifizierte Zweitmeinungen bereits seit mehreren Jahren von den rund 1.500 Chirurgen angeboten, die sich im Berufsverband Niedergelassener Chirurgen (BNC) zusammengeschlossen haben. Bei dem Zweitmeinungsverfahren teilen Fachärzte nach Untersuchung und Auswertung der vorhandenen Daten dem Patienten ihre Meinung zu einer geplanten Operation mit.
Ebenfalls wird ein Zweitmeinungsverfahren bereits von einigen Krankenkassen unterstützt: Die AOK Nordwest vermittelt ihren Versicherten in Schleswig-Holstein seit 2012 bei Krebserkrankungen und bei bestimmten schwerwiegenden orthopädischen Eingriffen die Zweitmeinung eines entsprechenden Spezialisten. Und die Barmer GEK bietet ihren Versicherten vor einer anstehenden Rückenoperation zunächst eine telefonische Beratung und sodann innerhalb einer Woche einen Termin bei einem niedergelassenen Rückenspezialisten in Wohnortnähe an.
Des Weiteren wurde im Jahr 2011 von deutschen Chirurgen die Initiative „Vorsicht Operation“ gegründet, die seit 2012 durch das Unternehmen Medexo fortgeführt wird. „Medexo“ steht für „Medizinische Experten Online“. Um unnötige Operationen zu vermeiden, werden von dem Unternehmen Zweitmeinungen online angeboten.
Ob man die ärztliche Zweitmeinung über das Medium Internet allerdings als sinnvolle Ergänzung zum vorherigen persönlichen Gespräch mit einem Arzt ansieht oder grundsätzliche Vorbehalte gegen solche Zweitmeinungsportale hat, kann an dieser Stelle zunächst dahinstehen (zur Kritik an Internetärzten, die nicht eine Zweitmeinung, sondern bereits die Erstdiagnose anbieten, siehe: http://www.aerzte-aerger.de/gehoren-internetarzte-bald-der-vergangenheit-an) – jedenfalls aber dürfte durch dertarige Initiativen zum Ausdruck gekommen sein, dass insgesamt ein Bedarf an regelmäßigen Zweitmeinungen besteht und diese eine wichtige Maßnahme zur Patienteninformation darstellen. Insofern ist das Vorhaben der Koalition zu begrüßen; es dient sowohl der Stärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient als auch der Qualitätssicherung.
Zum Schluss bleibt aber die Frage offen, wie dies mit dem weiteren Vorhaben der Koalition zu vereinbaren ist, dass die Wartezeit bei Fachärzten verkürzt werden und höchstens vier Wochen betragen soll (siehe auch: http://www.aerzte-aerger.de/was-dauert-langer-warten-auf-godot-oder-einen-arzttermin/); möglicherweise besteht zwischen diesen beiden Bestrebungen der Koalition ein Widerspruch, da viele Arztpraxen derzeit ohnehin schon überlastet sind.
Quellen:
Comment
Marius Western
25. Mai 2014 um 21:53Generell finde ich es gerechtfertigt, dass man einen zweiten Arzt um dessen Meinung fragen darf. Schliesslich ist eine solche Operation immer ein Risiko und da Ärzte Menschen sind, können diese auch Fehlentscheidungen treffen. Als Patient hat man zudem meist nicht genügend Fachwissen um die Lage einzuschätzen, weshalb ein zweiter Arzt hilfreich sein kann.